Angst vor dem schönen Weib – die „Vagina dentata“
Das Motiv der VAGINA DENTATA kommt bereits in den ältesten mythologischen Überlieferungen vor. So heißt es bei Hesiod, dass im Schoß der göttlichen Urmutter Gaia eine scharfe metallene Sichel gebildet wurde, mit der ihr Sohn Kronos später seinen Vater Uranos entmannte. Zahlreiche Theologen und Psychoanalytiker beschäftigten sich mit dem Phänomen, darunter auch Sigmund Freud, der es mit dem Begriff der Kastrationsangst verband. Für Volker Bartsch steht eher die Macht des weiblichen Geschlechtsorgans im Vordergrund, denn zu allen Zeiten war der Trieb stärker als die Vernunft.
Durch raffinierte Verführung wurden seit Menschengedenken Kriege gewonnen, Imperien erobert, Entscheidungen herbeigeführt und persönliche Ansprüche durchgesetzt. Immer war das weibliche Geschlechtsorgan das Ziel allergrößter Begierde und zügelloser Sehnsucht. Zu Beginn des 3. Jahrtausends hat sich das ebenso wenig geändert, wie die hinter der Lust verborgene Angst: dass Frauen nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch in der Gesellschaft zu mächtig werden könnten, aber auch die Furcht vor Schande (wie Beispiele enttarnter Affären von Prominenten belegen) oder wirtschaftlichem Ruin (den drastische Medien-Berichte über verarmte Scheidungsopfer noch schüren).
Seine skulpturale Umsetzung des Motivs stellt Bartsch auf einen altarähnlichen Sockel.[1] Dadurch exponiert er den „Höllenschlund“,wie die Vagina dentata im Mittelalter bezeichnet wurde; die kräftigen Reißzähne stechen auch durch eine an Waffenklingen erinnernde goldglänzende Farbgebung hervor. Hinter diesen findet sich die Höhle mit einer Paradiesfrucht, seit jeher Symbol der Verführung und Sünde. Parallel dazu schuf Volker Bartsch die „Virginia“ (virgo dentata). Zu dieser jungfräulichen Version wurde der Künstler inspiriert durch Popstars, die ihren freiwilligen Verzicht auf vorehelichen Sex erklären, Berichte über Frauen, die sich ihre Jungfräulichkeit aus den unterschiedlichsten Gründen „zurückoperieren“ lassen, stark zunehmende Keuschheitsbewegungen in den USA und nicht zuletzt durch die über alle Jahrhundert bewunderte, angebetete und diskutierte Keuschheit der christlichen Gottesmutter Maria. Offenbar scheint nichts verführerischer zu wirken als Jungfräulichkeit. Bartschs bronzene Virginia ist ebenfalls altarähnlich aufgesockelt, wirkt aber auf den ersten Blick weniger martialisch als ihre „Schwester“. Die Skulptur präsentiert einen straffen, jugendlichen Leib mit knabenhaften Formen, ihr Oberkörper zeigt die Form einer Mitra, die Arme sind vor dem Körper (wie im Gebet) zusammengeführt – schützend, aber nicht völlig abwehrend. Im Gegensatz dazu erinnern die Brustwarzen an Patronenhülsen, der verschlossene Schambereich an die gefletschten Zähne eines Raubtieres und die Vaginalhöhle an einen reißenden Strudel. Statt des jungfräulichen Kopfes (dessen künstlerische Gestaltung bei allen Marienbildnissen größter Sorgfalt unterliegt, weil er die ultimative Reinheit durch Lieblichkeit wiederspiegelt) gibt es nur eine Leerstelle. Der diesen göttlichen Kopf normalerweise hinterfangende Heiligenschein ist auf denjenigen Körperteil heruntergerutscht, der offenbar der Entscheidende ist. Dort enthüllt er eingravierte Kopulationsszenen – reflektiert also die heimlichen Träume und Begierden derer, die eifrig weiter am Mythos Jungfrau basteln.
[1] Mensa und Altarrückwand ist eine blaue Holz-Modellform für den Guss des Antriebsstrangs einer deutschen Dampflokomotive um 1870/80.