Eine Leinwand kann viel mehr sein als ein unsichtbarer Hintergrund.
Anfang 2022 trat Volker Bartsch in eine neue Werkphase ein. Sie stellt die Reduktion in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeiten. Er baut plastische Bildgründe in weißer Monochromie auf Leinwänden auf, gestaltet und strukturiert diese durch Verwerfungen, Erhebungen oder dichtere Texturen zu grafischen Narrativen. Die so entstandenen Oberflächen werden jedoch überschrieben. Bartsch durchbohrt den Bildgrund an zahlreichen klar definierten Stellen. Damit verletzt und öffnet er ihn zugleich in eine neue Ebene.
Stabile Bildträger sind seit Jahrtausenden ein Grundelement der Malerei. Auf ihnen wird mit Farbe, dem gezielten Einsatz von Licht, Schatten und Perspektive Räumlichkeit erzielt. Die zurückgenommene Farbigkeit und die Verletzungen stellen die Leinwand hier jedoch ins Zentrum der Aufmerksamkeit, machen sie sicht- und haptisch erfahrbar. Durch die Bohrungen wird zudem etwas ganz anderes aus den Gemälden –dreidimensionale Objekte. Hinter dem traditionellen Bildträger führt der Blick ins Dunkel. Bartsch setzt die Lochung der Oberfläche wie grafische Elemente ein, er zeichnet mit ihnen neue visuelle Landschaften, formt die Durchbrüche unterschiedlich: Sie sind kreisrund oder elliptisch, glatt oder mit schrundigem Rand. Je größer der Durchmesser, desto intensiver wird der Blick in die neue Ebene geleitet. Dabei meldet sich automatisch die Neugier des Betrachters. Was liegt dahinter? Was könnte man sehen? Einfach eine Wand oder ist da mehr? Man spürt eine Mischung aus Abenteuerlust, Voyeurismus, etwas Verbotenen und deshalb besonders Verlockendem.
Bartschs Anliegen, Räume der Kunst zu erweitern und in neue Ebenen zu öffnen, ist nicht neu. Viele Künstler versuchten nach 1945, die einengenden räumlichen Grenzen der Malerei zu sprengen. Der berühmteste von ihnen war sicher Lucio Fontana, dessen Schnittbilder als Angriff auf die traditionelle Malerei verstanden wurden. Denn sie schienen den Bruch auf eine verstörende Weise zu symbolisieren. Dabei zielte das Concetto Spaziale des italienischen Künstlers keineswegs auf Zerstörung ab, sondern auf eine Erweiterung der Wahrnehmung. Auch Volker Bartsch thematisiert in seinen von ihm als Lochismen bezeichneten Werken neue Möglichkeiten. Ihm geht es um das Verhältnis von Oberfläche und Kontext, von Fülle und Leere, Komplexität und radikaler Reduktion und vor allem um die Entdeckung neuer Möglichkeiten. Die Löcher sind wie kleine Ausgänge aus dem Bild. Sie geben den Blick frei in neue Räume, Gedanken und Ebenen. Vielleicht ist da wirklich nur eine Wand – vielleicht aber auch eine ganz neue Welt.