Bildhauer · Maler · Grafiker

 

Wer am Zoologischen Garten in Berlin die Treppen des Aquariums hinuntersteigt, nähert sich unweigerlich amphitheatralisch einer markanten Brunnenskulptur. Auf den ersten Blick ein seltsames Gebilde, dieser Schiefer-/Bronze-Brunnen, der seit mehr als drei Jahrzehnten die Passanten irritiert oder fasziniert – oft beides.

Bei schönem Wetter nehmen hier viele Menschen für eine längere Weile Platz. Kinder betätigen sich als „Bergsteiger“, erforschen die Tektonik der Brunnenskulptur. Hier hält sich der sonst Berlin-typische Vandalismus in Grenzen – vielleicht eines der besten Indizien für die positive Ausstrahlung der Skulptur.

Dennoch mag man sich zunächst provoziert fühlen, beschreibt der große, graphitfarbige Gesteinsberg doch auf den ersten Blick eine wüste, fremde und einsame Landschaftsszenerie. Wasser rinnt zwischen den Platten hervor, lässt den Schiefer tiefschwarz glänzen. Die 165 geschichteten Steine scheinen willkürlich geformt und ungeordnet verteilt wie Eisschollen.

Die Irritation ist durchaus gewollt in dieser „ordentlichen“ Gegend, wo nostalgische Fassaden und Postmoderne in reinem Funktionalismus zusammenstoßen und ein allzu gelacktes, blitzsauberes Stadtbild ergeben.

Volker Bartsch, ohnehin kein Künstler, der öffentliche Plätze Möbloierungsorte für seine Werke ansieht, hat mit dem Brunnen eine Skulptur geschaffen, die nur hier, an diesem Ort, seine volle künstlerische Bedeutung entfalten kann, für die der Ort nicht auswechselbar ist. Im Gegensatz zu anderen Brunnenanlagen im Berliner City-Bereich verzichtet er auf jedes dekorative und additive Element. Kein Postament hebt die Skulptur auf einen Sockel. Im Gegenteil: Sie wurde mehr als einen halben Meter im Boden versenktund wächst förmlich aus der Erde heraus.

Der raumgreifende Brunnen bildet eine quasi endlose Skulptur. Sie symbolisiert Aggressivität und Verletzlichkeit, sie ist sperrig und unbequem – eine Herausforderung an Phantasie und Sinnlichkeit. Denn wer näher hinsieht, dem enthüllt sich die anscheinende Unordnung plötzlich als wohldurchdachtes Miteinander: Plötzlich erkennt man glasklar Grundriss und Aufbau des Brunnens als formale Struktur eines fossilen Ammoniten. Die Skulptur umschreibt eine spiralförmige Ellipse, die sich zum Zentrum hin in die Höhe von 2, 20 m entwickelt.

200 Einzelobjekte aus Bronze, Schiefer und Granit fügen sich zu einer Gesamtformation zusammen. Diese strahlt nach außen und bildet eine Gegenbewegung zur Drehung der Spirale.

100 Tonnen Schiefer hat Volker Bartsch dafür aus dem Sauerland anfahren lassen. Riesige Schieferbrocken, bei Meschede in 160 Meter Tiefe unter Tage selbst gebrochen, daher anders als Schiefer sonst härter, kompakter, nicht splitternd, frost- und hitzebeständig und ohne die üblichen fossilen Abdrücke und Einschlüsse. Das Material diktiert die Form, ein sensibler Prozess, der vom Künstler ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Beobachtung und Einfühlung erfordert. Einen Eingriff in die Natur, der verwandelt, aber nicht zerstört

In diesem Brunnen repräsentiert das nach strengen Ordnungsrhythmen geschichtete Schiefergestein kine unberührbar-mächtige Natur. Im Gegenteil: Das spannende, je nach Witterung anders schimmernde Gestein, scheinbar in natürlicher Form anstehend, ist in Wahrheit kunstvoll zu einer „Landschaft“ verbaut. Es erzählt, in Platten übereinandergeschoben, mit scharfen Kanten, mitunter steil gen Himmel ragend, Faltungen, Brüche und Aufwerfungen nachbildend, einen erdgeschichtlichen, geologischen Vorgang. Vor den gigantischen zeitlichen und räumlichen Dimensionen seiner Kräfte, der Hitze des Erdinneren, des Drucks von Gasen, des Gewichtes von Gebirgsmassen schrumpft die Epoche der Menschen zu einem Nichts zusammen. Dem heutigen Tag gegenüber steht der Brunnen gleichgültig wie eine Ewigkeit.

Die Dichte des Materials wird dabei immer wieder von kleinen amphibischen Skulpturen durchbrochen. Ein Dialog zwischen kaltem Metall und warmem Schiefer, der sich visuell in unendlichen Ansichten äußert, die einander ablösen, wenn man sich die Graniteinfassung der Brunnenanlage ergeht. Dabei erscheinen die (in Bartschs Atelier selbstgegossenen) Bronzeskulpturen wie Fossilien urzeitlicher Ungeheuer in einem Prozess des momentanen Versteinerns. Sie sind wie Knochenschalen, Schädeldecken und tierische Panzer geformt; hohle Körperfragmente, die einmal organisches Leben geschützt haben könnten.

Die konstituierende Spiralform des Brunnens als funktional-formbestimmendes Element ist ebenso auf- wie niedersteigend zu lesen. Sie beschreibt eine von der Natur abgeschaute geometrische Konstruktion. Auf dem Olof-Palme-Platz in Berlin wird die ordnend-gestaltende Kraft des Menschen im Umgang mit der ursprünglichen Natur und menschlicher Geschichte deutlich erlebbar. Hier zeigt sich eindrucksvoll, dass Chaos und Ordnung sowohl natürliche wie auch menschliche Elemente sind. Für einen kurzen Moment wird man, ganz nah am Brunnen stehend, mit den Blicken in die urzeitliche Vision eintauchen . Dann verwandelt sich der Großstadtlärm in das gleichmäßige Rauschen der Zeit vor 200 Millionen Jahren, als die schneckenförmigen Lebewesen des Wassers erstarrten und zu Ammoniten versteinerten.

Annett Klingner: Die Ordnung im Chaos“ oder „Die Aufgabe eines Künstlers, Denkanstöße zu geben, in: Lothar Romain/Annett Klingner: CuSn6/WSt37, Berlin 2000, S. 22-25